Rudol H. Braas, ein einfallsreicher, leidenschaftlicher und sehr erfolgreicher Start-up-Unternehmer

Siehe hierzu auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Braas

Ein Rückblick mit Hintergrundinformationen von Erich Gerlach (Mitarbeiter von Braas: 1957, 1960, 1961, 1962 und 1967 – 2000)

a. Der 1902 in Donsbach im Westerwald geborene Rudolf Braas übernahm 1931 die Betriebsleitung der Taunusquarzitwerke (TQW) im Köpperner Tal und bezog eine Villa am Bahnhof Lochmühle. (Köppern/Gemarkungsgrenze Wehrheim?)
b. Von seinem Freund Diplomingenieur Kurt Prädel erfuhr Rudolf Braas, dass in Österreich beim Ausbau der Autobahnen bei Zuschlagsstoffen Lieferengpässe bestünden. Prädel vermittelte ihm die Akquisition eines Steinbruchs in Kärnten. – Rudolf Braas machte sich 1941 selbständig und wurde dort Unternehmer.
c. Ihm fiel auf, dass die Bauern in Kärnten während des Winters manuell auf Handschlagtischen in ihren Kellern Betondachsteine produzierten, die den dortigen extremen Witterungsverhältnissen mit häufigen Frost-/Tauwechseln in besonderer Weise stand hielten.
d. Als Maschinenbauingenieur entwickelte Rudolf Braas in den langen Winterabenden eine Anlage, mit der solche Dachsteine maschinell hergestellt werden konnten.
e. Nach dem Kriegsende stand auch Rudolf Braas vor dem Nichts, er musste als „Volksdeutscher“ mit seiner Familie Österreich verlassen.
f. 1945 reiste er zunächst alleine in seine alte Heimat Köppern, um für sich und seine Familie eine Unterkunft zu finden.
g. Rudolf Braas fand dann für sich und seine Familie eine kleine Wohnung in der Dachmansarde der Eisenbahngaststätte Richter in der Köpperner Bahnhofstraße. Später hat die Familie in der Nachbarschaft des Köpperner Werkes weitgehend in Eigenhilfe ein Einfamilienhaus gebaut, in dem auch ein kleines Büro untergebracht war.
h. Er holte seine Familie, Frau Ella Braas mit vier Töchtern und einem Sohn nach;
i. Das „Startkapital“ von Rudolf Braas waren damals nur ein „illegal“ ausgeführtes Briefmarkenalbum und die Pläne einer Maschine zur Herstellung von Betondachsteinen.
j. Der damals 45jährige Rudolf Braas gab nicht auf: er erschloss im Rodheimer Wald – fast in Köppern – als Konkurrenzunternehmen seines früheren Arbeitgebers TQW den Quarzitsteinbruch „Waldbahn“.
k. Seine Idee für eine „Betondachsteinmaschine“ hat Rudolf Braas 1946 zum Patent angemeldet, das ihm ab 1948 erteilt worden ist. Zur gleichen Zeit wurde ihm ein Patent für eine Putzmaschine zur Reinigung gebrauchter Mauerziegel erteilt. Eine Erfindung, die auf einen großen Bedarf stieß und dazu beitrug, die Ruinen zu recyceln.
l. Da er sich in seiner unternehmerischen Tätigkeit auf den Steinbruch konzentrieren wollte, hat Rudolf Braas 1946/47 mit einem kleinen Team aus zusammengesuchten alten Wehrmachtsbeständen eine Dachsteinmaschine bauen lassen und mit einem Herrn Kner einen Lizenznehmer gefunden, der die Produktion der Betondachsteine in seinem Betonbetrieb am Bahnübergang der Lochmühle aufnahm.
m. Nach der Währungsreform im Juni 1948 hat der Lizenznehmer Kner Rudolf Braas mitgeteilt, dass er die Produktion von Betondachsteinen einstellen werde, „ da die Leut jetzt wieder richtiges Geld haben, um echte keramische Dachziegel zu kaufen.“
n. Rudolf Braas hat die maschinelle Anlage nach Köppern nahe dem Bahnhof in den Quellenweg verlegt, mit seinem Partner Karl Nietzer die Braas Baustoffwerke GmbH gegründet und die Dachsteine als „Köpperner Platte“ vermarktet.
o. Betondachsteine waren damals für Deutschland ein noch total unbekanntes Produkt und das, obwohl sie bereits 1844 in Deutschland von dem Allgäuer Zementfabrikanten Adolph Kroher erfunden worden waren.
p. Das unternehmerische Talent von Rudolf Braas zeigt eine über sein technisches Innovationspotential hinausgehende Originalität: er schuf mit der „Köpperner Platte“ im deutschen Baustoffmarkt erstmals eine Marke. Obwohl der Bedarf im zerstörten Nachkriegsdeutschland extrem groß war, hat Rudolf Braas die Köpperner Platte mit Werbeanzeigen und Prospekten bekannt gemacht und als einer der ersten Verkäufer im Außendienst eingesetzt, die mit Motorrädern Kunden besuchten. Um diese von der Qualität und Bruchfestigkeit der Köpperner Platte zu überzeugen, legten sie die Dachsteine zwischen zwei Stühle und stellten sich drauf. Ein in der Tat wirksamer WOW-Effekt!
q. Ihren Erfolg in der Nachkriegszeit hatten die Braas Baustoffwerke insbesondere der Nachfrage von Siedlungs- und Wohnbaugesellschaften, wie der Nassauischen Heimstätte zu verdanken.
r. Anfang der 50er Jahre hat Rudolf Braas an einer Besichtigungsreise der Frankfurter Trümmerverwertungsgesellschaft nach England teilgenommen und bei dieser Gelegenheit die Produktionsanlage der bei Dachsteinen marktführenden Firma Redland besichtigt. – Dachsteine waren damals das in Großbritannien am häufigsten eingesetzte Bedachungsmaterial. Nach seiner Rückkehr versammelte Rudolf Braas seine Werksmannschaft und gab das Kommando: „Die Engländer sind uns um Jahrzehnte voraus, wir müssen da eine ganze Menge anders machen!“ Konsequenzen: Seine Anlage wurde modifiziert und die Engländer hatten bei ihm einen Stein im Brett.
s. Anfang der 50er Jahre gab es bei Redland Pläne, vom Wiederaufbau Deutschlands zu profitieren und dort Betondachsteine zu produzieren. Die Geschäftsleitung reiste nach Deutschland, um einen potentiellen Partner zu finden. Als erstes Unternehmen besichtigten sie einen Betrieb in Darmstadt, der nicht infrage kam, da die maschinelle Anlage in einem erbärmlichen Zustand war und verdächtigerweise die Bänker mit am Tisch saßen.– Anders bei Braas: die Produktionsanlage in Köppern war top gepflegt, die Maschine lief perfekt und das an einem Sonntag. Kein Wunder, dass man sich einig wurde und eine Partnerschaft eingegangen worden ist. (Gerhard Hill, ein Braas-Arbeiter der ersten Stunde hat mir erzählt, dass die Maschine bei der Besichtigung, am Sonntag zwar perfekt gelaufen sei, aber am Montag nach der Abreise der Engländer erst einmal ihren Geist aufgegeben habe.)
t. Für Rudolf Braas war es ein Gebot der Fairness, dass er seinen Mitgesellschafter Karl Nietzer fragte, ob er bei dem Gemeinschaftsunternehmen mitmachen wolle. Dieser sagte, lieber Rudolf, ich werde das mit meiner Frau besprechen und gebe Dir morgen früh Bescheid. – Seine Antwort war eindeutig, seine Frau hatte ihm gesagt, Schuster bleib bei Deinem Leisten, Karl, bleib beim Steinbruch, lass das den Rudolf mit den Engländern machen.
u. 1953 war die Braas & Co GmbH in Deutschland eines der ersten deutsch/englischen Gemeinschaftsunternehmen. Der Start: Rudolf Braas, der kein Geld hatte, brachte sein Anlagevermögen, also das Werk in Köppern ein, Redland das technische Know – How und die Fertigungsanlage, Redland wurde mit einem Gesellschaftsanteil von 56,3% dann Mehrheitsgesellschafter von Braas, hat aber immer Rudolf Braas vertraut und keine öffentliche Rolle gespielt.
v. Um die Rohstoffversorgung des neuen Werkes sicherzustellen, hat sich Rudolf Braas zunächst darum bemüht, eine Seilbahn für den Sandtransport von der TQW zum Köpperner Bahnhof genehmigt zu bekommen. Obwohl er als Vertreter der Liberaldemokratischen Partei in der Köpperner Kommunalpolitik gut vernetzt war, wurde dieses Vorhaben abgelehnt. Bei der Suche nach Alternativen wurde entschieden, die Dachsteinproduktion nach Heusenstamm zu verlegen, wo das neue Werk im wahrsten Sinne des Wortes „auf Sand gebaut“ wurde. In Köppern verblieben für einige Jahre als Zulieferbetrieb des Werkes Heusenstamm die Herstellung von Buntsand für die Dachsteinoberfläche und eine Aluminiumgießerei, in der Unterlagsplatten für die Herstellung von Dachsteinen hergestellt wurden.
w. Rudolf Braas hat 1953 das Marketing-Konzept seiner Braas Baustoffwerke weitgehend auf die Braas & Co GmbH übertragen: mit einer neuen Marke, der „Frankfurter Pfanne“, intensiven Werbe- und Anzeigenaktivitäten und einem kompetenten Außendienst von „Fachberatern“. – Der Vorschlag seiner englischen Partner bei Braas – so wie in England – eine Material- und Frostschadensgarantie von 50 Jahren einzuführen, hat Rudolf Braas abgelehnt. Er entschied sich für nur 30 Jahre Garantie, denn er wollte noch selbst erleben, dass Dachsteine wirklich so lange halten. Rudolf Braas ist im Jahr 1974 mit 72 Jahren morgens früh auf dem Rückweg von seinem Geburtsort Donsbach im Westerwald, wo er in seinem Revier mit dem Heusenstammer Bürgermeister zur Jagd war, plötzlich verstorben. Leider hat er nicht mehr persönlich erleben können, dass Dachsteine sogar 100 Jahre und viel länger halten.

Ein Rückblick mit Hintergrundinformationen von Erich Gerlach (Mitarbeiter von Braas: 1957, 1960, 1961, 1962 und 1967 – 2000)